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2000 MU6 - Die Geschichte einer merkwürdigen Kleinplanetenentdeckung

Nach einem Aufenthalt Ende Juni letzen Jahres auf der Farm Tivoli in Namibia, wo wir (Doris Unbehaun und Wolfgang Paech) wieder einige CCD-Bilder aufgenommen hatten, begannen wir erst Ende August 2000 mit der Rohbildverarbeitung. In der Nacht vom 25.6. 2000 zum 26.6. 2000 wurde ein RGB Komposit des Trifidnebels aufgenommen. Die Teleskopkonfiguration der Aufnahmen zeigt die Abbildung. Aufnahmeinstrument war ein 5-Zoll Refraktor der Firma Vixen, ein ED 130 SS, bestückt mit einer ST8-E CCD Kamera von SBIG. Montiert war das Teleskop, zusammen mit einem weiteren 6 Zoll Refraktor, auf einer 6 ADN der Firma Alt. Dieses Bild zeigt detailliert die montierte ST8-E am Okularauszug des ED 130SS. Zusätzlich war zur leichteren Fokussierung eine Messuhr am Auszug des ED montiert.
 
Luftbild der Astro-Farm Tivoli in Namibia Das Aufnahmeinstrument
Luftbild der Farm Tivoli CCD - Kamera und Messuhr Das Aufnahmeinstrument
 
Bei der Vorverarbeitung des blau gefilterten Bildes fiel in der Nähe des hellsten Nebelteils sofort eine lange Strichspur auf. Sie sah auf Anhieb wie eine Planetoidenspur und nicht wie ein Bildfehler aus. Daraufhin prüften wir sofort auch den Grün- und den Rotauszug. Auch dort fanden sich, schön fortlaufend, Strichspuren, die nur kurz durch den Filterwechsel unterbrochen sind. Die Spur erschien recht hell und wurde subjektiv von uns auf ca. 13m5 geschätzt.
 
Blaue Spur des ? - Objekts « Blauauszug, Aufnahme am 26.6.2001 von 23:10 UT bis 00:10 UT, SBIG ST8-E mit Vixen ED 130 SS

Mit GUIDE 7.0 wurde für den Aufnahmezeitpunkt und -Ort der entsprechende Himmelsausschnitt dargestellt, um den vermeintlichen Planetoiden zu identifizieren. Zu unserer Verblüffung zeigte GUIDE im Aufnahmebereich nur einen einzigen Planetoiden (10003) 1971 UD1, der aber einige Bogenminuten von "unserer Strichspur" und dazu noch mit einer Helligkeit von 17m3 angezeigt wurde (blaues Kreuz im GUIDE-Kartenausschnitt, siehe weiter unten).

Ein 5-Zöller, der 17. Größenklasse als Strichspur abbildet, ist - auch mit CCD-Technik unter dunklem Himmel - kaum denkbar. Zudem gab GUIDE für (10003) einen um ca. 25 Grad abweichenden Positionswinkel zu unsererm ?-Objekt an, wie wir es inzwischen getauft hatten. Die Sache begann spannend zu werden.

Die Datenbanken der GUIDE Version, die wir zur Verfügung hatten, enthalten nur die Bahnelemente der Planetoiden und Kometen, die bis 1998 bekannt waren
(Erscheinungsjahr der CD). Kurzzeitig dachten wir auch an einen möglichen Kometen. Deshalb wurden zuerst die Datenbanken von GUIDE um aktuelle Bahnelemente von Planetoiden und Kometen erweitert (die Software unterstützt diese Möglichkeit und das Internet machts möglich). Es ergaben sich aber auch danach keine Übereinstimmungen. GUIDE zeigte weiterhin "stur" nur die Nummer (10003).

Unser nächste Schritt war deshalb, die CCD-Aufnahmen zu eichen. Dazu wurde der genaue Abbildungsmaßstab der Aufnahmen, daß heißt die genaue Teleskopbrennweite ermittelt. Es ergab sich exakt eine Brennweite von 841mm in leichter Abweichung zur Herstellerangabe von 860mm. Da die Daten der ST8-E festliegen (Pixelgröße bei den Aufnahmen war 9 x 9 m ergab sich eine Strichspurlänge von ca. 33"/Stunde bei einem Abbildungsmaßstab von 2.2"/Pixel. Diese 33" sind ein durchaus üblicher Wert für "main-belt" Planetoiden in dieser Deklination. Grobe Koordinaten des ?-Objekts wurden aus GUIDE abgegriffen.

Parallel dazu ereignete sich noch folgendes: zum ersten konnte mit extremer Bildverarbeitung tatsächlich die Bahnspur von (10003) auf allen drei CCD-Bildern nachgewiesen werden (der 5 Zöller schafft es doch!) und zweitens fiel uns ein, daß wir den Trifidnebel mit ähnlicher Belichtungszeit als Integralbild ziemlich genau 24 Stunden früher aufgenommen hatten. Die Bahnspur des ?-Objekts wurde extrapoliert und auch auf der früheren Aufnahme prompt aufgefunden. Das Bild ist eine Darstellung, welches aus den beiden Aufnahmen vom 25. und vom 26.6. übereinander gerechnet wurde (die beiden Ausschnitte wurden um den Faktor drei hochgerechnet, um die Bahnspuren deutlicher zu zeigen). 1971 UD1 ist auf dieser Aufnahme leider nicht zu identifizieren, er stand zur Aufnahmezeit genau im hellsten Nebelbereich des Trifid.



Strichspuren von 1971 UD1
und vom ? Objekt
Jetzt wurde aus der Spannung Aufregung. Hatten wir tatsächlich einen doch recht hellen, bislang unentdeckten, Planetoiden gefunden? Nachdem wir sichergestellt hatten, dass keine Bildfehler oder andere "Dummheiten" vorlagen wurde Ende August Dr. L. Schmadel vom Astronomischen Recheninstitut in Heidelberg (ARI) eingeschaltet. Dr. Schmadel ist erfahrener langjähriger Planetoidenbeobachter und in der Bundesrepublik zuständig für alle Belange des MPC (Minor Planet Center). Er bekam von uns die groben Koordinaten, die wir einfach aus GUIDE auf dem Bildschirm abgegriffen hatten.

Dr. Schmadels erste Rechnung liess Ihn auch auf 1971 UD1 schliessen und er wollte die Sache schon "ad akta" legen. Da 1971 UD1 aber auf unseren Bildern - zusätzlich zu dem unbekannten Objekt - eindeutig
Strichspuren vom ? - Objekt am 25.6.    
(1) und vom 26.6.2000 (2)    
nachweisbar war, liessen wir nicht locker, und am 3. September kam ein email von Dr. Schmadel in dem er sich bereit erklärte uns bei einer Klärung zu unterstützen. Beinahe zeitgleich gab es eine Meldung des Linear Team, die das unbekannte Objekt - leider auch nur auf 5 Aufnahmen in einer Nacht - vom 24. Juni - "erwischt" hatten. Jetzt waren hochpräzise Koordinaten gefragt und dabei ergab sich folgendes Problem:

Die Steuersoftware der SBIG Kamera speichert zwar beim Belichtungsbeginn jeder Aufnahme die Rechneruhrzeit ab, aber wir wussten nicht mehr wie genau die Rechneruhr gesetzt war. Zum Glück hatte Doris am Laptop nichts verändert, so dass wir mit dreimonatiger Zeitverzögerung einen Zeitvergleich durchführen konnten. Das ganze wiederholten wir 14 Tage später noch einmal, so dass wir daraus sogar die Drift der Rechneruhr und so die Aufnahmezeit-punkte auf wenige Zeitsekunden bestimmen konnten (für präzise Positionsbestimmungen unabdingbar).

Da wir beide keine präzisen Positionsmessungen durchführen konnten, wurden von Dr. Schmadel zwei Amateure - Michael Busch und Reiner Stoss - von der Starkenburg Sternwarte in Heppenheim (http://www.starkenburg-sternwarte.de) eingeschaltet. Beide sind versierte Planetoidenbeobachter. Reiner ist der "Chef-Strichspurvermesser" des DANEOPS-Team (http://earn.dlr.de/daneops). DANEOPS ist ein Zusammenschluss von Amateuren und Profis zur nachträglichen Identifizierung von Planetoidenstrichspuren auf älteren Platten. Sie bekamen von uns alle Bilder und kurze Zeit später (3. September) waren die Aufnahmen vermessen. Der "Link" zu der Linear Beobachtung vom 24.6. bestätigte sich damit. Zu dieser Zeit wurde dann auch offiziell eine Meldung an das MPC und Brian Marsden zur Prioritätssicherung geschickt.

Unser ? Objekt wurde nun offiziell beim MPC unter der vorläufigen Bezeichnung 2000 MU6 geführt
Kamen am 4. September noch "Congratulations" aus Heidelberg folgte am Nachmittag die Ernüchterung durch ein email aus den USA von B. Marsden.

"... I have identified 2000MU6 with 1994 WV2, an object observed at code 411 on six nights over a 31-day arc. This means that althought Paech will count as the 2000 discoverer , Kobayashi at code 411 has to be the discoverer of the object, because there was sufficiently good orbit from the 1994 observations. There are no other observations of the object in the files ..."

Regards, Brian. (Code 411 steht für die geozentrischen Beobachtungskoordinaten von Herrn Kobayashi in Japan).

Aus den Beobachtungen von Kobayashi, der Linear Beobachtung vom 24.6.2000 und unse-ren Beobachtungen liessen sich allerdings immer noch keine absolut präzisen Bahnelemente bestimmen, um den provisorischen Bezeichnungen 1994WV2 und 2000MU6 einen endgültigen Namen bzw. Nummer zu geben (die Namensgebung steht übrigens Kobayashi, als Erstentdecker zu). Jetzt wurden Michael Busch und Reiner Stoss noch einmal aktiv. Dazu kam auch noch Andreas Doppler aus Berlin, der ebenfalls dem DANEOPS Team angehört. Aus der nun wesentlich genauer bekannten Bahn fanden Sie den Planetoiden noch auf Platten von 1983, die in Siding Spring und später auch auf NEAT (Near Earth Asteroid Tracking) Beobachtungen von 1997 und 1998. Aus allen diesen Beobachtungen wurde parallel von Marsden, Schmadel, Busch und Stoss Bahnelemente gerechnet, die so identisch waren, dass eine endgültige Nummerierung anstand.

Bereits am 13 Oktober kam ein email von Reiner mit folgendem Inhalt:

... Hallo Leute, das "?-Objekt" wurde im Oktober-MPC nummeriert

Number (& Name) Discoverer (s) Prov. Discovery Name
(17583) Kobayashi, T. 1994 WV2 1994 11 30 Ref
publiziert wurde das ganze unter http://cfa.harvard.edu/iau/lists/NumberedMPs17501.html  

Gruss Reiner ...

Die abschließende Berechnung der Bahnelemente (siehe Tabelle rechts) stammt von Dr. Lutz Schmadel. Sie lauten: 1994 WV2 = 2000 MU6 (Epoch 2000 Sept. 13.0, TT = JDT 2451800.5)
Große Halbachse (a) 2.280024 AE
Exzentrizität (e) 0.201667
Mittlere Anomalie (M) 5.14745 Grad
Bahnneigung (i) 5.12045 Grad
Aufsteigender Knoten (Gr. Omega) 271.38215 Grad
Argument des Perihels (Kl. Omega) 28.01904
Umlaufszeit (P) 3.44 Jahre
Helligkeitsp. (H, G [mag]) 13.0, 0.15
 
 
Nebenstehendes Bild zeigt den Kartenausschnitt aus GUIDE 7.0 mit folgenden Bahnen: blau = 1994 WV2 (alte Bahnelemente), rot = 2000 MU6 (neue Bahnelemente/Schmadel) und grün = Bahnsegmente aus den beiden CCD-Aufnahmen. Die beiden gelben Rahmen geben die Bildauschnitte des CCD´s und des Nachführchips der ST8-E. Beide Spuren starten, rechts im Bild, am 25.6. um 22:42 UT und enden am 27.6. um 00:10 UT. Das blaue Kreuz gibt die Position von 1971 UD1 (10003) am 25.6., 22:42 UT. Der eingeblendete Rahmen zeigt die Koordinatendifferenz zwischen 1994 MV2 und 2000 MU6.

Damit war das "Abenteuer" ?-Objekt, 1994 WV2 und 2000 MU6 beendet und der "kleine Brocken" mit der Nummer 17583 wird nun nie wieder "verlustig" gehen.
Für Doris und mich war sehr positiv, dass es in bestimmten Bereichen der Astronomie immer noch fruchtbare und erfolgreiche Zusammenarbeit zum einen zwischen Amateuren untereinander und auch zusammen mit professionellen Astronomen gibt und dass es nicht immer Teleskope der Meter-Klasse sein müssen, um interessante Beobachtungen durchzuführen.
 
Achtung: 110 KBy Wir zeigen hier zum Abschluss das fertig verarbeitete RGB Komposit des Trifidnebels, die Aufnahmedaten sind folgende:

RGB-Komposit aus den drei Bildern vom 25/26.6.2000. Instrument: VIXEN ED 130 SS mit SBIG ST8-E. Blauauszug 60min, Grün- und Rotbild je 30min belichtet. RGB Filter der Firma Vixen/Tokai. Rohbildverarbeitung mit CCDOPS, CCDSHARP. RGB-Komposit mit Registar, endgültige Verarbeitung mit PHOTOSTYLER. An diesem Bild wurden keine Farbkorrekturen der einzelnen Farbkanäle durchgeführt, lediglich Helligkeit und Kontrast des RGB-Komposits wurden angepasst.

Registar ist übrigens ein tolles Programm, aber nicht billig. Es kann auch nicht sehr viel mehr als Bilder übereinanderrechnen, dies aber völlig vollautomatisch und perfekt (unterschiedliche Bildlagen, Verdrehungen oder Abbildungsmasstäbe sind kein Problem). Uch Mosik Bilder rechnet Registar vollautomatisch zu einem Bild zusammen. Unter obiger URL kann man sich zum Probieren eine Vollversion herunterladen.
 
Wer selber mal ein RGB Komposit zusammensetzen möchte, kann hier die drei Farbauszüge - allerdings deutlich kleiner gerechnet - herunterladen. Viel Spass beim Experimentieren.. Klicken Sie zum Laden der Farbauszüge einfach auf die Vorschaubilder.

Wem selber einmal etwas ähnliches passiert, kann unter http://cfaps8.harvard.edu/~cgi/CheckSN?s=m ein Planetoidensuchprogramm starten. Nach Eingabe von Datum, Uhrzeit, Standort und Koordinaten (Rek, Dek) und eines
Blauauszug Grünauszug Rotauszug
Fehlerkreises, rechnet das Programm alle bekannten Planetoiden für die entsprechende Beobachtungszeit im Fehlerkreis aus und man sieht sofort, ob man da "was neues" oder etwas bereits bekanntes aufgenommen hat.

Wer selber Koordinaten auf CCD Bildern bestimmen möchte, findet in dem Programm ASTROART ein umfangreiches, relativ preiswertes "tool". Bestellen kann man es zum Beispiel beim astro-shop in Hamburg
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